Jullander - Interiors

Grand Plié
(instrumental)


Martin Luther verliert die Geduld
Unser Held
betritt die Szenerie
am linken, unteren Bildrand.
Sein erster Eindruck:
Es stehen keine Teller auf dem Tisch,
es riecht nicht nach Essen
und der Raum ist von atemloser Stille erfüllt.

Martin Luther sitzt schweigend am Kopf des Tisches,
umgeben von seinem engsten Kreis.
Er blickt düster vor sich hin,
setzt zu einem Donnerwetter an,
zögert dann
und verlässt das Haus nach nur zwei Bechern Wein
- die Runde atmet auf.

Unser Held beschließt die Küche aufzusuchen,
um mal nach dem Rechten zu sehen;
die Kamera filmt über seinen Rücken.
In der Küche bewegt sich nichts,
nur am Fenster sitzt die Magd und schaut nach draußen.

Als unser Held sich ihr nähert, blickt sie ihn kurz an,
nickt dann
und deutet mit dem Finger auf die Sterne.
Er setzt sich zu ihr und gemeinsam warten sie auf den Morgen
- zum Abspann erklingt ein sentimentaler
Madrigalgesang.


Behind the scenes
Since we're kind of go-betweens,
since we're Audreys and Katharines,
since we move like lo-fi queens
let's see what's up behind the scenes.


Der Herr vom Filmressort arbeitet jetzt an der Popcorn-Maschine
(Einen Galao später in der Spiegel-Kantine:)
Ich hab gehört, der Herr vom Filmressort arbeitet jetzt an der Popcorn-Maschine?!

Richtig ist nur, dass er sich für den Job interessiert. Besser qualifiziert ist allerdings die Dame aus dem Wellness-Bereich. Die hat promoviert und während dessen in einem Schwimmbad gearbeitet.

Öffentlichkeitsarbeit?

Nein, Gymnastik. Sie war auch längere Zeit im Ausland. Burma.

Als Korrespondentin?

Nein, Urlaub. Sie hat aber 'nen gutes Standing. Die Sache wird wohl per Pitch entschieden.

Per Pitch?

Ja ... es blendet hier immer so!

Ja, das fällt mir auch jeden Mittag auf.

Na ja, jedenfalls ... ist ganz schön schwierig geworden, den Standard zu halten. Mir haben sie neulich den Coach gestrichen.

Wem sagst Du das. Vor zwei Jahren hab ich mir 'nen BMW gekauft. Den hat jetzt mein Vater. Und mein i-Mode ist mir bei den Business-News in den Kochtopf gefallen.

Das gibt's doch nicht.

Ja so geht das aber gerade ab!

Übrigens, wir haben gerade 'nen Praktikanten von der Texterschule bei uns. Also ich muss schon sagen ... Neulich hab ich ihn mit 'ner Überschrift für so 'ne Geschichte über Kartoffelanbau beauftragt. Weißt Du, was er mir geliefert hat?

Nein.
"Die tolle Knolle."

Ah ja.

Gut, oder?

Ja ja.

Und selbst so?

Ja also, um ehrlich zu sein... ich hab jetzt angefangen, an Glückssteinen zu reiben.

An Glückssteinen.

Ja, vor ein paar Jahren war ich auf 'nem Lehrgang für Führungskräfte, auf Teneriffa. Da hab ich die bekommen. Lagen dann ne Zeit lang nur so in der Gegend rum. Jetzt geh ich alle halbe Stunde aufs Klo und reib an den Steinen.

OK Du, ich muss los. Uns steht 'ne Koop mit Kellogs Frosties.de ins Haus.

Mit wem??

Der Chef von denen sitzt bei uns im Aufsichtsrat. Wollen vier Mal im Monat Camping-Tipps geliefert bekommen.

Und wer soll die schreiben?

Eigentlich der Kollege vom Camping-Ressort. Den hat aber seit 'nem halben Jahr keiner mehr gesehen.

Also falls ihr ...

Wie, ach so, Du hättest Interesse?

Naja, man weiß ja auch nicht, wie es bei uns weiterläuft ...

Du pass auf, lass uns deswegen mal essen gehen. Es gibt noch ne andere Interessentin.

Also weißt Du, ich hab ...

Ich sag Dir dann bescheid, OK? ... Scheiße, wie das hier alles blendet, das macht mich krank. Ich geh jetzt zu dem Dreckschwein vom Betriebsschutz und polier dem die Fresse.

Der sitzt jetzt woanders.


God Jul
(instrumental)


The New Look
Ich hab nichts gegen
Oberflächen.

Auch gegen Oberflächlichkeiten hab ich nichts.

Ich selbst besitze eine
Zeit-Attrappe.
(Damit sitz ich immer in der U-Bahn und tu so, als ob ich lesen würde.)

Mit einem Dossier übers Filmemachen drin: "Schuss und Gegenschuss in der Sahel-Zone".


Die Yamanote-Linie
(instrumental)


Interiors
Einer von Woody Allens stilleren Filmen spielt in einem Strandhaus auf Long Island. Ein älterer Herr hat vor Einsatz der Filmhandlung seine Frau, eine spröde Innenarchitektin, verlassen und möchte der Familie nun, zur vorschnellen Wiederheirat, seine neue Geliebte vorstellen.
Während die Einrichtung des Hauses,
als auch die Kleidung der Beteiligten,
aus perfekt aufeinander abgestimmten Grautönen bestehen,
wirkt das Rot des Kleides der Braut irgendwie unwirklich
- man belauert sie skeptisch.

Jeder Schnitt und jeder Schmuck ist mit Absicht gewählt.
Wir stehen in einer Versuchsanordnung,
bei der die Welt
in ein Strandhaus
mit verlorenen Seelen
einbricht.

Das wilde Meer rauscht an den Strand.
Ein rotes Kleid streift eine stilvolle Vase,
die am Boden zerbricht. Hochsymbolisch
haucht die Braut gerade der abgeneigtesten Tochter
neues Leben ein.
Jedes Bild
ist bleischwer
von Bedeutung
überzogen.

Trotzdem,
der Film ist super!
Und Jullander können eigentlich nur empfehlen,
aufzupassen,
wann er das nächste Mal
mitten in der Nacht
auf dem Dritten Programm läuft,

oder ihn sich in einer dieser staatlichen Bücherhallen
auf Video auszuleihen.


Caledonia Falls
(instrumental)


Après Danse
"Sind Erinnerungen etwas, das man behält, oder etwas, das man verloren hat?"
Die Handlung hört auf, aber Catherine Deneuve bleibt an ihrem Tisch sitzen.

Sie schaut aus dem Fenster und fragt sich, wo sie eigentlich die ganze Zeit gewesen ist und an welchem Punkt der Erzählung sie aufgehört hat, im Schlaf zu träumen und sich beim Wachsein etwas zu wünschen.

Sie denkt zurück und lässt ihre Gedanken schweifen, himmelwärts steigend in die Stille der Nacht. Wir bewegen uns nicht, sondern verhalten uns ruhig und sehen ihr zu

- und sind glücklich, als die Musik einsetzt.

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